BVerwG-Urteil: Telefonwerbung im Spannungsfeld DSGVO und UWG
Das Thema Direktwerbung haben wir bereits mehrfach aufgegriffen: etwa zur allgemeinen Zulässigkeit (hier), zur Frage der E-Mail-Werbung (hier), zu den Änderungen des UWG zum 02.12.2020 (hier), zum berechtigten Interesse im Rahmen des UWG (hier) sowie zur Einwilligung im Direktmarketing (hier).
Aus aktuellem Anlass, einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (im Folgenden BVerwG), möchten wir nun näher auf das Thema der mutmaßlichen Einwilligung eingehen.
Der Fall
Das BVerwG (Urteil vom 29.01.2025 – 6 C 3.23) hat in einem Fall, bei dem es um die telefonische Ansprache von Zahnarztpraxen zu Werbezwecken ging, entschieden, dass diese Werbemaßnahme unzulässig war. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass eine solche Werbemaßnahme, ohne zuvor eine ausdrückliche Einwilligung eingeholt zu haben, einen Verstoß gegen § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) darstelle. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall, wurden die Zahnarztpraxen telefonisch kontaktiert, mit dem Ziel, in Erfahrung zu bringen, ob die Angesprochenen Edelmetalle verkaufen möchten, die im Rahmen der Behandlung von Patienten teilweise bei den Praxen verbleiben.
Die Werbetreibenden gingen davon aus, dass bei den Zahnarztpraxen eine mutmaßliche Einwilligung zu einer solchen Ansprache vorliegen würde und die Werbemaßnahme somit gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG zulässig sei.
Das Gericht folgte dieser Argumentation nicht. Eine mutmaßliche Einwilligung kann nach Ansicht des Gerichts nur in Ausnahmefällen angenommen werden – etwa dann, wenn konkrete Umstände vorliegen, aus denen sich ein ausdrückliches Interesse der kontaktierten Stelle an einem Anruf ergibt. Allein die Tatsache, dass es ich bei der Praxis um ein Unternehmen handelt, das möglicherweise Interesse an bestimmten Dienstleistungen haben könnte, genügt hierfür nicht.
Im konkreten Fall hatte das werbetreibende Unternehmen Kontaktlisten (über öffentlich zugängliche Verzeichnisse wie zum Beispiel Gelbe Seiten) von Zahnarztpraxen genutzt, um telefonisch auf Angebote im Dentalbereich aufmerksam zu machen, ohne dass eine ausdrückliche oder dokumentierte Einwilligung vorlag. Das Gericht stellte insbesondere klar, dass geschäftliche Telefonnummern nicht grundsätzlich als offen für Werbeanrufe gelten. Der Schutz vor unerwünschter Werbung gelte unabhängig davon, ob es sich um Verbraucher oder Unternehmen handelt.
Der Schutz der Privatsphäre und der ungestörten Berufsausübung überwiegt die geschäftlichen Interessen des werbenden Unternehmens. Bereits § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG verbietet Werbeanrufe ohne ausdrückliche oder zumindest mutmaßliche Einwilligung. Der Gesetzgeber habe mit dieser Regelung die europarechtlichen Vorgaben zum Schutz vor unbestellter Werbung umgesetzt.
Ein berechtigtes Interesse gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO könne in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht angenommen werden. Allein die Veröffentlichung der Kontaktdaten in öffentlich zugänglichen Verzeichnissen reiche nicht aus, um davon auszugehen, dass man vernünftigerweise mit Werbeanrufen rechen müsse. Die Angabe der Telefonnummer diene vielmehr der Erreichbarkeit durch Patient*innen. Der werbliche Kontakt zu einem Angebot, das zudem keinerlei Bezug zur beruflichen Tätigkeit aufweist – hier der Verkauf von Edelmetallen – ist damit unzulässig.
Was ist eine mutmaßliche Einwilligung?
Zunächst ein Auszug aus der Norm (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG):
[…]
(2) Eine unzumutbare Belästigung ist stets anzunehmen
- bei Werbung mit einem Telefonanruf gegenüber einem Verbraucher ohne dessen vorherige ausdrückliche Einwilligung oder gegenüber einem sonstigen Marktteilnehmer ohne dessen zumindest mutmaßliche Einwilligung,
[…]
7 UWG verbietet Werbemethoden, die Marktteilnehmende in unzumutbarer Weise belästigen – dazu zählen unter anderem Telefonanrufe, Faxe, E-Mails oder Direktnachrichten in Messengern. Insbesondere sind Werbeanrufe gegenüber Verbraucher*innen ohne deren vorherige ausdrückliche Einwilligung unzulässig (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG). Telefonische Kaltakquise gegenüber Verbraucher*innen ist also ausnahmslos untersagt.
Zulässig sind Werbeanrufe gegenüber Verbraucher*innen nur dann, wenn die angesprochenen Personen ausdrücklich darum gebeten oder ihre Einwilligung im Vorfeld erklärt haben. Diese Einwilligung muss klar, gesondert und ausschließlich auf den Zweck der Telefonwerbung bezogen sein. Eine mutmaßliche Einwilligung reicht bei Verbraucher*innen generell nicht aus.
Eine Einwilligung ist nur wirksam, sofern diese freiwillig erteilt wurde. Beispielsweise führt eine Koppelung mit anderen Zwecken in der Regel dazu, dass die betroffenen Personen unangemessen benachteiligt werden, was zur Unwirksamkeit der Einwilligung führt (BGH, Urteil vom 14.04.2011, I ZR 50/09). Für die Gültigkeit der Einwilligung ist gemäß § 7a UWG zudem eine Dokumentation erforderlich: Die werbende Stelle muss den Zeitpunkt und den Inhalt der Einwilligung festhalten und fünf Jahre lang aufbewahren. Die Fünfjahresfrist verlängert sich nach jeder Verwendung der Einwilligung um weitere fünf Jahre.
Bei Verstößen gegen das Verbot der unerlaubten Telefonwerbung droht eine Geldbuße von bis zu 300.000 Euro (§ 20 UWG). Für die Verletzung der Dokumentationspflichten hinsichtlich der Einwilligung sieht das UWG Bußgelder von bis zu 50.000 Euro vor. Darüber hinaus können solche Verstöße gleichzeitig gemäß Art. 83 DSGVO bußgeldbewehrt sein. Beispielsweise werden Verstöße gegen die Dokumentationspflicht nach dem UWG in der Regel dazu führen, dass die Nachweispflicht gemäß Art. 5 Abs. 2 DSGVO ebenfalls nicht erfüllt ist.
Bei Verstößen gegen das Verbot der unerlaubten Telefonwerbung droht eine Geldbuße von bis zu 300.000 Euro (§ 20 UWG). Werden die Dokumentationspflichten verletzt, können weitere 50.000 Euro fällig werden.
Anders sieht es bei Werbeanrufen gegenüber sonstigen Marktteilnehmenden – also insbesondere Unternehmen – aus. Hier ist nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG eine mutmaßliche Einwilligung ausreichend. Doch auch diese unterliegt engen Voraussetzungen: Entscheidend ist, ob im Vorfeld des Anrufs konkrete Umstände vorlagen, die auf ein sachliches Interesse der angerufenen Person schließen lassen.
Was heißt das konkret?
Eine mutmaßliche Einwilligung bedeutet nicht, dass ein allgemeines Interesse oder ein beruflicher Kontext genügen. Entscheidend ist, ob sich aus Sicht der angerufenen Person ein tatsächlicher, nachvollziehbarer Nutzen aus dem Werbeanruf ergibt – und ob sie mit diesem Anruf rechnen durfte. Die bloße Veröffentlichung einer Telefonnummer, ein breiter Branchenbezug oder das spätere positive Gespräch reichen nicht aus.
Die werbende Person muss sich selbst vor dem Anruf die Frage stellen:
„Darf ich mit nachvollziehbaren Gründen davon ausgehen, dass mein Anruf willkommen ist?“
Wer hier unsicher ist, sollte vom Anruf absehen.
Beispiele aus der Praxis
- Ein*e Zahnärzt*in bestellt regelmäßig medizinisches Verbrauchsmaterial bei einem spezialisierten Händler. Dieser ruft die*den Zahnärzt*in an, um über neue Produkte zu informieren, die zu den bisherigen Bestellungen passen.
Begründung:
Aus der bestehenden Geschäftsbeziehung und den regelmäßigen Bestellungen ergibt sich ein sachliches Interesse der Zahnärzt*in. Der Händler durfte daher annehmen, dass die*der Zahnärzt*in dem Anruf positiv gegenübersteht. - Ein Softwareanbieter für Praxisverwaltungssysteme ruft eine Zahnarztpraxis an, die sich zuvor auf einer Fachmesse ausführlich am Stand informiert und um Informationsmaterial gebeten hatte.
Begründung:
Das gezeigte Interesse auf der Messe erlaubt die Annahme, dass ein sachliches Interesse an weiterführenden Informationen – auch per Telefon – besteht. - Ein Anbieter für Fortbildungsseminare ruft ohne vorherige Kontakte in Zahnarztpraxen an, um auf seine Kurse hinzuweisen.
Begründung:
Ohne erkennbare Beziehung oder vorheriges Interesse der Praxis kann kein sachliches Interesse vermutet werden – der Anruf ist daher nicht zulässig.
Handlungsempfehlung
Unternehmen sollten Werbeanrufe sorgfältig vorbereiten und sich nicht auf vage Annahmen einer mutmaßlichen Einwilligung verlassen. Vor jedem Anruf ist zu prüfen, ob ein konkreter Sachbezug zur Zielgruppe besteht – rein spekulatives Interesse reicht nicht aus. Wer Verbraucher*innen kontaktiert, muss im Besitz einer dokumentierten, eindeutigen Einwilligung sein. Auch bei Geschäftskund*innen sollte vorab sorgfältig abgewogen werden, ob der Anruf tatsächlich erwartbar oder sinnvoll ist. Wer unsicher ist, sollte lieber auf Alternativen wie postalische Werbung ausweichen – oder vorab schriftlich (Achtung, hier ist die Briefpost gemeint, E-Mails ohne Einwilligung gelten ebenfalls als unzumutbare Belästigung, siehe § 7 Abs. 2 Ziff. 2 UWG) um Einwilligung bitten. Bei Verstößen drohen empfindliche Sanktionen.
Fazit
Im B2B-Bereich ist Telefonwerbung ohne ausdrückliche Einwilligung nur in Ausnahmefällen zulässig. Zwar gelten hier weniger strenge Anforderungen als im B2C-Bereich, dennoch ist die mutmaßliche Einwilligung nur schwer rechtssicher zu begründen. In der Praxis ist sie eigentlich nur dann vertretbar, wenn bereits ein früherer Kontakt bestand oder konkrete, individuelle Umstände vorliegen, aus denen sich ein sachliches Interesse der Angerufenen ableiten lässt. Allgemeine Marktannahmen oder branchentypische Bedürfnisse reichen nicht aus. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte vorab eine ausdrückliche Einwilligung einholen.