„Zahlen mit Daten“ – OLG Stuttgart klärt: „Kostenlos“ bleibt erlaubt
Immer häufiger begegnet uns das Geschäftsmodell, digitale Dienste oder Bonusprogramme nicht gegen Bezahlung mit Geld zur Verfügung zu stellen, sondern stattdessen eine Bezahlung mit personenbezogenen Daten zu ermöglichen. Stichwort: „kostenlos“, aber mit Bedingung. Doch ist die Angabe „kostenlos“ rechtlich überhaupt zulässig, wenn die Nutzer*innen umfangreiche Daten für den Erhalt der Leistung preisgeben müssen?
Gesetzlicher Hintergrund
Der deutsche Gesetzgeber hat im Jahr 2021 die Digitalen-Inhalte-Richtlinie umgesetzt. Seither dürfen Anbieter digitaler Leistungen auch personenbezogene Daten als Gegenleistung verlangen. Mit dieser Gesetzesänderung wurden Daten erstmals ausdrücklich als „Zahlungsmittel“ anerkannt. Mehr dazu in unserem Blog-Beitrag: „Gesetzesänderung – Daten sind nun ganz offiziell ein Zahlungsmittel!.
Ein Fall vor Gericht
Knapp drei Jahre später, hatte sich das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart mit dieser Thematik zu befassen (Urteil vom 23.09.2025, Az. 6 UKl 2/25).
Anlass war das das Vorteilsprogramm „Lidl Plus“. Hierfür bietet Lidl eine kostenlose App an, mit der registrierte Nutzer*innen bei dem Discounter Rabatte und andere Vorteile erhalten können. Bei der Registrierung sind diverse personenbezogene Daten anzugeben. In den Teilnahmebedingungen wurde angegeben, dass die Teilnahme an „Lidl Plus“ kostenlos ist. In weiteren Unterabschnitten wurde näher beschrieben, welche Daten als Grundlage für die Ermittlung der für die Teilnehmer*innen passenden Angebote im Einzelnen erhoben und gespeichert werden.
Kritik des Verbraucherzentrale Bundesverbands
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hielt die Bewerbung als „kostenlos“ für irreführend, da die Nutzer*innen zwar nicht mit Geld bezahlen, aber zahlreiche auch personenbezogene Daten preisgeben. Der vzbv mahnte den Discounter ab und forderte ihn zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf, die der Discounter nicht abgab. Damit war der Gang zum Gericht für den vzbv folgerichtig, wenn auch nicht erfolgreich.
Was das Gericht entschieden hat
Der vzbv forderte insbesondere, dass
- der Discounter unterlassen müsse, die App weiterhin als kostenlose Anwendung anzubieten, wenn Teilnehmer*innen mit ihren personenbezogenen Daten „bezahlen“. Aus Sicht des vzbv ist die App nicht kostenlos, weil Teilnehmer*innen beim Anmelden und Verwenden persönliche Informationen preisgeben, die der Discounter zu Marketing- und Profilingzwecken nutzt,
- der Discounter verpflichtet werden sollte, einen Gesamtpreis im Sinne der Preisangabenverordnung anzugeben, also die tatsächliche Gegenleistung, auch wenn sie in Form von Daten erfolgt, offenzulegen.
Damit standen zwei Kernfragen im Raum:
- Ist die Bezeichnung der Leistung als „kostenlos“ irreführend, wenn gleichzeitig darauf hingewiesen wird, dass personenbezogene Daten erhoben und verarbeitet werden?
- Muss ein Unternehmen Verbraucher*innen im Fernabsatz einen Preis angeben, wenn die zu zahlende Gegenleistung nicht in Geld besteht?
Das Gericht wies die Klage des vzbv ab. Die Bezeichnung in den Teilnahmebedingungen, die App sei „kostenlos“, ist nach Ansicht des Gerichts nicht irreführend. Der Begriff „kostenlos“ bringt lediglich und in zulässiger Weise zum Ausdruck, dass die Verbraucher*innen für die Nutzung der App und die erhofften Vorteile kein Geld bezahlen müssen. Dass der Discounter bei der Anmeldung und Nutzung der App Daten der Nutzer*innen erhebt und diese in wirtschaftlicher Weise nutzt, steht ausdrücklich und in engem Zusammenhang mit dem Wort „kostenlos“ in den seinerzeitigen Nutzungsbedingung
Weiter sah das Gericht es auch nicht als zu beanstanden an, dass der Discounter bei der Anmeldung keinen „Gesamtpreis“ angibt. Die Verpflichtung zur Angabe eines Gesamtpreises in Euro setzt voraus, dass tatsächlich ein Preis in Form von Geld zu entrichten ist. Einen solchen haben die Nutzer*innen der App aber gerade nicht zu bezahlen. Das deutsche Gesetz und die zugrundeliegenden europäischen Normen verstehen einen „Preis“ ersichtlich als zu zahlenden Geldbetrag und nicht als eine sonstige Gegenleistung. Das Gericht folgte somit der Argumentation des Discounters.
Der Verbraucher*innenschutz im Umgang mit personenbezogenen Daten wird nach Ansicht des Gerichts durch die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sichergestellt, nicht durch andere Gesetze wie das Wettbewerbsrecht. Der Schutz der Verbraucher*innen erfolgt in solchen Fällen über die Informationspflichten gemäß Art. 13 und 14 DSGVO). Solange die Datenverarbeitung transparent und DSGVO-konform erfolgt, dürften Anbieter daher weiterhin mit dem Begriff „kostenlos“ werben.
Gab es dazu nicht eine andere Meinung?
Steht die Begründung des Gerichts nicht in einem Spannungsverhältnis zur DSGVO? Können Daten nicht durchaus einen ökonomischen Wert haben? Wäre das dann nicht doch vergleichbar mit der Zahlung eines Preises?
Das OLG Stuttgart behandelte den Fall unter dem Blickwinkel des Fernabsatzrechts, was wesentlich zur Entscheidung beigetragen hat. Das Gericht wendete insbesondere die Fernabsatzregelungen (§ 312 ff. BGB) die ihrerseits die europäischen Verbraucherrechterichtlinien umsetzen. In diesem Rahmen wird der Begriff des „Preises“ ausschließlich als Geldleistung definiert, nicht aber als Bereitstellung von Daten.
Das Gericht stellte klar, dass das „Lidl Plus“-Programm ein Fernabsatzgeschäft darstellt, da:
- die Teilnahme online erfolgt,
- ein vertragliches Verhältnis über elektronische Kommunikationsmittel geschlossen wird,
- und es sich damit um ein digitales Dienstleistungsverhältnis handelt.
Das OLG Stuttgart führte aus, dass Art. 246a EGBGB nur dann greift, wenn der Verbraucher eine Geldzahlung oder eine andere in Geld bewertbare digitale Gegenleistung erbringt. Die Bereitstellung personenbezogener Daten sei nach der europäischen Systematik gerade kein Preis, sondern werde unter der DSGVO eigenständig geregelt.
Sinngemäß heißt es im Urteil “Danach leistet der Verbraucher nach dem Wortlaut der Verbraucherrechterichtlinie keinen Preis, wenn er dem Unternehmer personenbezogene Daten bereitstellt, zumal der Richtliniengeber und im Anschluss daran auch der nationale Gesetzgeber im Hinblick auf datenschutzrechtliche und grundrechtliche Bedenken des Europäischen Datenschutzbeauftragten, S. 9 ff. bewusst davon abgesehen haben, die Hingabe von Daten mit einer vertraglichen Gegenleistung des Verbrauchers im Rechtssinne gleichzusetzen.
Folgerichtig nimmt der Richtliniengeber nicht an, dass der Verbraucher mit der Bereitstellung von Daten einen Preis zahlt, sondern unterscheidet bei den Regelungen zum Anwendungsbereich in Art. 3 Abs. 1 der Digitale-Inhalte-Richtlinie und in Art. 3 Abs. 1 und 1a) der Verbraucherrechterichtlinie zwischen Verträgen, bei denen der Verbraucher einen Preis zahlt und Verträgen, bei denen der Verbraucher dem Unternehmer personenbezogene Daten bereitstellt.“
Das Gericht trennt explizit die zivilrechtlichen Informationspflichten (Gesamtpreis etc.) und die datenschutzrechtlichen Pflichten und stellt klar, dass eine etwaige Auflösung von Spannungsverhältnissen gerade nicht durch das Instanzgericht erfolgen kann, sondern dem Gesetzgeber oder ggf. einem Höchstgericht obliegt.
Fazit
Für Unternehmen bringt das Urteil (erst einmal) eine gewisse Rechtssicherheit. Es bestätigt, dass digitale Dienstleistungen nicht allein deshalb als entgeltlich gelten, weil personenbezogene Daten verarbeitet werden. Gleichzeitig bleiben die umfangreichen Informationspflichten der Art. 13 und 14 DSGVO bestehen.
Obwohl der Discounter in allen relevanten Punkten recht bekommen hat, wurden die Teilnahmebedingungen nach dem Urteil angepasst. Der konkrete Satz „Die Teilnahme an Lidl Plus ist kostenlos“ wurde ersatzlos gestrichen. Der Discounter hat erkannt: Transparenz bleibt die beste Compliance-Strategie.
Empfehlungen für Anbieter digitaler Dienste
Auch wenn keine Preisangabe erforderlich ist, sollten
- Einwilligungsprozesse dokumentiert werden,
- Zweckbindungen eindeutig formuliert sein,
- Informationspflichten lückenlos erfüllt werden.
Wenn Sie Unterstützung dabei wünschen, sind wir für Sie da.



